Freitag, 30. August 2019

Die Sprachen der Erinnerung

Am 28. Juni saß ich in einer Podiumsdiskussion -- als Teilnehmer, das sei betont, nicht als Zuschauer -- und durfte zum Thema "Wie können Übersetzungen gewinnbringend in der Erinnerungs- und Bildungsarbeit eingesetzt werden?" streiten. Hintergrund ist meine langjährige Erfahrung beim Übersetzen von Überlebendeninterviews und zu Teilen wahrscheinlich auch meine noch länger währende Freundschaft zu meiner lieben Übersetzerkollegin Sylvia Degen, die zu eben jenem Thema promovierte und die Ergebnisse ihrer Forschung kürzlich unter dem Titel "Die Stimmen der Überlebenden, aber wessen Worte?: Audiovisuelle Interviews mit NS-Überlebenden und ihre Übersetzung" im LIT Verlag veröffentlichte.
Die Podiumsdiskussion war Teil eines von Prof. Dr. Kerstin Schoor (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder), Dr. Andrea Hammel (Aberystwyth University, Wales) und dem Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg organisierten Symposiums unter der Überschrift "Die Sprachen der Erinnerung – Audiovisuelle Berichte von NS-Überlebenden und ihre Übersetzung."

Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Kerstin Schoor referierten Dr. Andrea Hammel zum vermeintlich schwierigen Verhältnis von Holocaust Studies und Translationswissenschaft; Katja S. Baumgärtner zum Thema "Sprache, Gender und Film – Übersetzung als Ermöglichung von Erinnerung in Filmen über Ravensbrück" und Dr. Sylvia Degen über ihre Studie zur Übersetzung von Überlebenden-Interviews an drei audiovisuellen Archiven in Berlin. An der abschließenden Diskussion nahmen neben den Referentinnen noch Ulrike Granitzki, die ihre Perspektive als Qualitätsmanagerin und Lektorin von audiovisuellen Überlebendeninterviews einbrachte, und meine Wenigkeit teil.


Aus der Ankündigung: Für die Vermittlung der NS-Geschichte sind die Berichte der Überlebenden zentral. Da immer weniger von ihnen direkt befragt werden können, werden schriftliche und zunehmend audiovisuelle Zeugnisse immer wichtiger. Dabei wird das Berichtete häufig als Übersetzung gelesen oder gehört – womit deren Gestaltung für den Vermittlungserfolg wesentlich wird. Wenn sich innerhalb der Holocaust Studies mit Überlebendenberichten auseinandergesetzt wird, steht häufig deren vermeintliche „Authentizität“ im Mittelpunkt. Diese wird jedoch durch die Übersetzung direkt in Frage gestellt. Trotzdem spielt das Thema Übersetzung in den breit geführten Debatten kaum eine Rolle. Das Symposium soll eine Plattform für den Austausch zwischen den Vertreter_innen unterschiedlicher Disziplinen sein, aber vor allem auch zwischen den sogenannten „Theoretiker_innen“ und „Praktiker_innen“, die mit den (übersetzten) Berichten von NS-Überlebenden arbeiten.

Nachtrag: Im BDÜ-Rundbrief Berlin Brandenburg Nr. 19 (Nov. 2019) gibt es ein sehr interessantes Interview mit Sylvia zu lesen.

OST: Angel Olsen -- All Mirrors